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Von der interaktiven Gestaltung zum aktiven Kunstbenutzen      
(Aus Katalog: Computerkunst ‘96)      
 

Rückblickend auf Ausstellungsreihen wie „Computerkunst“ oder auf Festivals wie „Ars Electronica“ läßt s6ich feststellen, daß in den vergangenen zehn Jahre ein Paradigmenwechsel in der Computerkunst stattfand. In dieser Zeit gesellte sich zur bis dahin weitgehend algorithmisch beschriebenen und erzeugten Computergrafik eine mit Anwenderprogrammen direkt gestaltete Bildform. Computernutzende Künstler mußten nun nicht mehr gleichzeitig auch Mathematiker oder Informatiker sein. Denn die neuen, durch Anwendersoftware erzeugten Werkzeugeigenschaften des Computers ermöglichten auch traditionell ausgebildeten Künstlern, Rechner ohne Programmierkenntnisse bildnerisch zu nutzen.

Befreit vom Algorithmisierungszwang verlor die Computergrafik relativ rasch die ästhetische Spezifik der bis dahin vorherrschenden programmierten Plottergrafie. Es entwickelte sich ein der zeitgenössischen Malerei und Zeichnung vergleichbarer Stilpluralismus. Mit zunehmender Leistungsfähigkeit des Mediums ließen sich nach und nach alle konventionellen Techniken auf dem Monitor simulieren. Doch diese Simulation im Rechner schien nicht präsentabel, die gängigen Ausstellungsmöglichkeiten erforderten Flachware für die Wand. Für die direkte Übertragung der Bilder auf materielle Träger kamen und kommen aber nur technische Mittel wie Computerdrucker oder fotografische und filmische Reproduktionsverfahren in Frage. Mit Computerhilfe simulierte Malerei und Zeichnung erreichen deshalb nicht annähernd die ästhetische Dichte und komplexe Struktur ihrer materiellen Pendants. Dieser Sachverhalt erzeugte Kritik. Den Pionieren der Computerkunst fehlte die bis dahin für computertypisch gehaltene algorithmische Beschreibung des Bildes, den traditionellen Kunstfachleuten fehlte die materielle Qualität der vom Sujet her vergleichbaren handwerklich geschaffenen Originalobjekte. (top)

Was brachte Künstler trotz dieser Probleme dazu, Leinwand, Farbe und Pinsel gegen das begrenzte Gestaltungsambiente einer Computeranlage einzutauschen? Es waren die neuen gestalterischen Möglichkeiten der programmierten Maschine. Deren innovative Aspekte waren die Immaterialität der Bilder sowie teilautomatische Funktionen wie z.B. Filter von Bildverarbeitungsprogrammen, Render- und Raytracingwerkzeuge von Konstruktionssoftware oder Keyframegeneratoren für die Berechnung von Bewegungsphasen. Diese Neuerungen ermöglichten den Wandel von der handwerklichen Arbeitsweise zum gestalterischen Maschinenbenutzen. Das hatte Folgen für den Künstler: Der Computermaler setzt sich nicht mehr mit materiellen Widerständen auseinander, sondern er interagiert mit einer komplexen Maschine und befindet sich dabei in einem ästhetischen Prozeß, der durch seine Aktion und die Reaktion der Maschine gebildet wird. Doch dieses Erleben war anfangs für die meisten Künstler nicht der Gegenstand ihrer Computerkunst, sondern nur eine neue Werkzeugerfahrung, die begleitet wurde von latent bewußten Output-Problemen. Diese ließen sich allerdings verdrängen, weil das neue Gestaltungsmittel, wie immer bei neuen Bildmedien, zunächst der Nachahmung älterer Medien diente. Dementspechend entstanden viele Computerbilder, die durchaus herkömmlicher künstlerischer Druck- und Fotografik vergleichbar sind, denen aber die eigentlichen ästhetischen Spezifika des Computers, nämlich die Mehrdimensionalität, Dynamik und Interaktivität fehlen. (top)

Ein Künstler, der dieses Problem umkreiste, war Anton Bubenik. Bei ihm finden sich Bildgruppen, für die sich ein allen gemeinsamer Ursprung feststellen läßt. Ein eingescanntes Illustriertenbild wurde in immer neuen Variationen mit diversen Filtern bearbeitet und verändert. Das Ergebnis sind vielfältige Abstraktionen eines Motivs. Da sie aber weder als ästhetische Einheit gedacht noch so präsentiert wurden, dokumentieren sie eher die Einheit des gestalterischen Erfahrungsprozesses, als daß sie ein in sich geschlossenes künstlerisches Produkt ergeben. Dieses Vorgehen war durchaus keine Ausnahme. Es gab und gibt eine ganze Reihe von Künstlern, die verschiedene Programmenvironments erprobten und erproben, um einzelne Bilder zu erzeugen. Einige begannen die ästhetischen Prozeßerfahrungen mit zusammenhängenden Bildserien oder Filmen als ästhetische Einheit zu fassen. So hielten sie verschiedene Ansichten virtueller Formen oder dynamischer Prozesse fest und zeigten sie simultan oder sequentiell als geschlossene ästhetische Einheit. Durch diese Präsentationsformen wurde für den Betrachter der Blickwinkel in den digitalen Erfahrungsraum erweitert, doch noch kein unmittelbarer Zugang eröffnet. Denn die Auswahl der Bildausschnitte oder der Kamerafahrt bestimmte dabei immer noch der Künstler, wodurch sich die Präsentation digitaler Kunst auch weiterhin nicht von der alter Kunstformen unterschied. (top)

Wesentlich für diese Entwicklungsphase ist, daß die Künstler die neuen ästhetischen Erfahrungsräume primär produzierend erfuhren, ohne aber die ästhetische Spezifik des Mediums Computer dem Rezipienten in einer ausstellungstechnisch praktikablen Lösung präsentieren zu wollen oder zu können. Es dauerte einige Zeit, bis Künstler die Computernutzung als gestaltbaren Gegenstand entdeckten. Erst Anfang der neunziger Jahre finden sich Kunstwerke, die den Rezipienten direkt in den digitalen Ästhetikkomplex hineinstellen. Der Zugang zu diesen Kunstwerken entspricht der normalen Computernutzung. Über ein Interface (Maus, Sensor etc.) steuert der Nutzer ein Programm und bewirkt damit eine Reaktion der Apparatur, die dann z.B. mit Videobeamern oder Monitoren präsentiert wird. Exemplarisch für die ganze Entwicklungsperiode sind die Arbeiten Arthur Schmidts. Er begann als Maler. Mit Computermalerei erweiterte er sein informelles Bildkonzept zu generativen Bildserien von großformatigen, fotografisch materialisierten Computerbildern. Im nächsten Schritt beließ er die digitalen Bilder im Computer und ermöglichte dem Betrachter über einen Touchscreen, Bildteile zu bestimmen, die das Programm austauschte. Den Abschluß dieser Werkphase bildete eine interaktive Rauminstallation, bei der Bewegungen des Besuchers Veränderungen in einer dynamischen Bild-Ton-Collage steuern. (top)

Diese Art von Kunstwerk erzwingt neue Rezeptionsbedingungen, an die sich der Betrachter erst gewöhnen muß. Der „User“ dieser Medienkunst ist nicht mehr passiver Rezipient, sondern aktiver Programmbenutzer. Damit ist er nun - oder sollte es zumindest sein - in der Lage, den vom Künstler kreierten digitalen Ästhetikkomplex selbständig zu erforschen. Arthur Schmidts „The untouchable Painting“ läßt sich noch naiv-hedonistisch wie ein Kaleidoskop benutzen. Es ergeben sich immer „schöne“ Bildveränderungen. Peter Weibels Installation „Zur Rechtfertigung der hypothetischen Natur der Kunst (...)“ dagegen demonstriert, daß dies nicht immer so einfach sein muß. Er führt den Besucher in ein komplexes, mit Sensoren bestücktes und diverse Projektionen integrierendes Environment. Dieses Werk erschließt sich nur dem, der die Programmbedienung beherrscht. Bei Arbeiten solcher Komplexität wird besonders deutlich, daß der Benutzer seine Kunsterfahrung nur erweitern kann, wenn er selbst gestalterisch aktiv wird. Er muß lernen, das Instrument zu spielen, das ihm der Künstler hinstellt. Der Kunstgenuß wandelt sich damit vom passiven gedanklichen Verstehensprozeß zur aktiven bzw. interaktiven Erfahrung. (top)

Mit dieser Form der Computerkunst erschließt sich für den Kunstbetrachter die ganze ästhetische Struktur des Computers. Die anfangs erwähnten Probleme sind damit aufgelöst. Diese Computerkunst konkurriert nicht mehr mit materiellen Medien, sie ist reine Information. Im Produktionsprozeß solcher Kunst spielt die Simulation traditioneller Gestaltungstechniken genauso eine Rolle wie algorithmische Gestaltungsverfahren. Die Computertechnik ist also inzwischen ein komplexer Werkzeugkasten, aus dem sich zeitgenössische Künstler frei bedienen, um interaktive Installationen, Cyberspace, Multimedia und Netzwerkästhetik zu erschaffen. Gleichzeitig ist der Computer der einzige Apparat, mit dem diese Dinge ganzheitlich rezipiert werden können. Damit ist zusammengewachsen, was zusammengehört: nämlich die Computerkunst und der Computer.

Gerd Struwe

Literatur
Katalog: Anton Bubenik - Junge digitale Bilderkunst 3, Leverkusen 1990.
Katalog: Peter Weibel, Zur Rechtfertigung der hypothetischen Natur der Kunst und der Nicht-Identität in der Objektwelt, Köln 1992.
Gerd Struwe: Digitale Malerei. In: Digitale Katalogreihe No.1, Arthur Schmidt, Digitale Bilder/Interaktive Arbeiten, o.O., 1993, 32ff.

 

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