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Kunst und Kultur im
Internet |
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(Vortrag: Soest 1998) |
Das Web als Informationsmedium Das Web als Bestandteil von Kultur |
Das Web als Informationsmedium Diese formale Skizze des Webs sagt freilich noch nichts darüber aus, für wen diese Technologie Bestandteil von Kultur ist oder dies werden könnte. Das Web als Bestandteil von Kultur Von außen betrachtet ist das Web immer ein ergänzender Bestandteil vorhandener Kulturen. Die Anfänge der Netzentwicklung lagen im militärischen Bereich. Das ARPA-NET der ersten Phase war ein reines Militärnetz. Die Erweiterung des Nutzerkreises auf Universitäten, machte das Netz zum Bestandteil der USA-Wissenschaftskultur. Im nächsten Schritt durften auch Wissenschaftseinrichtungen aus verbündeten Staaten auf das Internet zugreifen. Innerhalb des Universitätsbereichs etablierten Studenten Subkulturen, indem sie textbasierte Adventure-Spiele, sogenannte MUDs (multi user dungons) einbrachten. Anfang der neunziger Jahre wurde dann aus dem Wissenschaftsnetz endgültig ein Massennetz, an dem prinzipiell jeder teilnehmen kann. Doch global betrachtet sind gegenwärtig noch ganze Regionen der Welt ausgeschlossen. Selbst in den relativ gut versorgten Industriestaaten können weite Bevölkerungskreise wegen des hohen technischen Aufwands und der damit verbundenen Kosten nicht am Netz teilnehmen. Gegenwärtig wird das Web vor allem von Angehörigen der Mittelschichten genutzt, wobei Männer zwischen 20 und 40 Jahren den größten Anteil ausmachen. (top) Das Web ist sogesehen noch eine gesellschaftliche Randerscheinung. Sicher auch deshalb ist es, wie es momentan existiert, noch ein anarchischer fast rechts- und machtfreier Raum. Das erste Gebot der Webgemeinde charakterisiert dies treffend: „Sage offen, was du sagen willst, und zensiere nie“ (vgl.: Mandel/van der Leun). Das bedeutet, jeder - wenn er den Zugang realisiert hat - kann machen, d.h. mitteilen und/oder rezipieren, was ihm beliebt. Damit wurde hier scheinbar etwas Wirklichkeit, was auch schon für die vorhergehenden elektronischen Medien postuliert worden war, nämlich der emanzipatorische Mediengebrauch. Im „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ verglich Hans Magnus Enzensberger repressiven und emanzipatorischen Mediengebrauch. Merkmale repressiven Mediengebrauchs sind danach: Merkmale emanzipatorischen Mediengebrauchs sind dagegen: Was Brecht schon für das Radio forderte und Enzensberger auf das Fernsehen bezog, ist jetzt technische Realität. Das Web erfüllt formal die von Enzensberger geforderten Kriterien für emanzipatorischen Mediengebrauch. Daß die von beiden postulierte „Mobilisierung der Massen“ offensichtlich nicht stattfindet, kann bei genauerer Betrachtung freilich nicht verwundern. Denn das globale Web wird bislang nicht von der Masse, sondern nur von einer an der Weltbevölkerung gemessen winzigen Zahl von Menschen genutzt. Ob die Möglichkeit des emanzipatorischen Mediengebrauchs erhalten bleibt, wenn die „Masse“ Zugriff bekommt, ist zumindest zweifelhaft. Denn es zeigt sich, daß Anbieter von radikalen politischen oder als kriminell bewerteten Informationen, trotz der bisherigen Randständigkeit des Mediums auch jetzt schon, wenn man ihrer habhaft wird, juristisch verfolgt werden. Das Web als Kultur ist Webkultur Ein wesentlicher Aspekt der Webkultur ist ihre ästhetische Erscheinung. Als Einstieg in diese Thematik ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, daß die Webzugangsprogramme, sogenannte Browser, formal nichts anderes als ein Softwareinterface in einen riesigen Datenbankverbund sind. Die Ästhetik des Web hat infolgedessen dieselben Entwicklungsstufen durchlaufen wie die PC-Software. Textbasierte Systeme wurden auch hier von grafischen Benutzeroberflächen abgelöst. Inzwischen wird Multimedia - wenn auch noch mit verminderter Qualität - im Web zum Standard. Die verschiedenen medialen Komponenten (Bild, Text, Sound etc.) sind durch eine Netzstruktur miteinander verknüpft und über sogenannte „Links“ (Verbindungen) kann man sich durch diese Systeme navigieren. Bei Multimediaprodukten beschränkt sich die Reichweite der Links auf den einzelnen Datenträger (CD-ROM). Das Web erweitert die Verbindungen zu weltumspannenden Hyperlinks. Trotz dieser neuen kommunikativen Potenzen zeigt sich, wie bei jedem Aufkommen neuer Medien, auch im Internet eine typische inhaltliche und formale Entwicklung: Mit neuen Medien werden zunächst einmal die alten, etablierten Vermittlungsweisen nachgeahmt. Die ersten Fotografien sollten möglichst wie Gemälde wirken; die ersten Filme waren abgelichtete Theaterszenen. Die ersten Homepages von Zeitungen sahen eher wie Bildschirmseiten einer Textverarbeitung aus und die Sites von Museen wirkten eher wie kleine Briefmarkenkataloge. Einige Galerien meinten, dem Publikum die Kunst als virtuelle Puppenstuben näher bringen zu müssen. Und Firmensites waren oft nicht mehr als ins Netz gestellte Anzeigenwerbung. Doch werden inzwischen immer häufiger alle Register von Multimedia gezogen. Darüber hinaus findet man zunehmend interaktiv rezipierbare, globale Verzweigungen von Informationsflüssen. Einen Schritt weiter ist hierbei die aktuelle Medienkunst, genauer die Webkunst. (top) Kunst im Internet ist nicht gleich Webkunst Der Ausgangspunkt ist die sich ab 1965 entwickelnde Computerkunst. Deren Produkte unterscheiden sich formal von konventionell gestalteten materiellen Bildern darin, daß sie algorithmisch als reine Information beschreibbar sind. Anfang der achtziger Jahre wurde die Herstellung digitaler elektronischer Bilder revolutioniert. Mit Anwenderprogrammen wurden nun zunehmend traditionelle Gestaltungsmittel simuliert. Diese Mal- und Zeichenprogramme ermöglichten konventionell ausgebildeten Künstlern und Gestaltern, computerunterstützt Bilder herzustellen. Damit ließ sich problemlos an die Bildformen der traditionellen Kunst anschließen. Die Computerkunst verlor dadurch schnell die formalästhetische Spezifik algorithmisch erzeugter Bilder und näherte sich sujetmäßig der Vielfalt zeitgenössischer Kunst an. Künstler, die computerunterstützte Bildgestaltung betrieben, gerieten massiv in die Kritik. Den Pionieren fehlte die bis dahin den Computer als Kunstmedium legitimierende, direkte algorithmische Beschreibung des Bildes. Traditionell arbeitende Künstler und Kunstvermittler bemängelten dagegen, daß die mit Computerhilfe entstandenen Bilder besser mit herkömmlichen Mitteln herzustellen seien. Beide Kritikrichtungen treffen, wenn man sie auf einzelne Computerbilder bezieht, weitgehend zu. Doch zwei Aspekte dieser Kunstphase sind für die weitere Entwicklung dennoch wegweisend gewesen.(top) Der erste Gesichtspunkt ist die Benutzung einer automatischen Maschine zu künstlerischen Zwecken. Die Algorithmik steckt bei diesem Verfahren nämlich nicht im Bildergebnis, wie in der ersten Phase der Computerkunst, sondern in der Beschreibung der Funktionen des Automaten. Der Künstler arbeitet nicht mehr handwerklich, sondern interaktiv mit einer per Programm beschriebenen Maschine. Es vollzog sich hier der Wandel vom künstlerischen Handwerk zur künstlerischen Maschinennutzung. Das primäre Produkt ist dabei nicht mehr „ein“ Bild, sondern ein immaterieller, prozessualer Bildkomplex im Rechner. Doch die Interaktion mit Malprogrammen und dem digitalen Bildkomplex war den meisten Künstlern zunächst nicht als ästhetisches Produktziel bewußt. Sie machten zwar mit den Grafik- und Malprogrammen eine neue ästhetische Erfahrung, wendeten das Verfahren aber nur auf traditionelle Bildvorstellungen an (vgl. Struwe 1996). Der zweite relevante Aspekt ist die symbolische Erweiterung des Bildraums. Einige Computerkünstler der zweiten Generation lösten sich von den traditionellen Bildvorstellungen und versuchten, ihre mit dem Computer gemachten neuen ästhetischen Erfahrungen mit Bildserien und Computerfilmen darzustellen. Diese partielle Repräsentanz des digitalen Bildkomplexes erlaubte dem Betrachter zwar schon einen begrenzten Blick in die digitale Bildwelt, doch allein die Künstler bestimmten hierbei den sichtbaren Ausschnitt. (top) Anfang der neunziger Jahre begannen Medienkünstler (Video- und Computerkunst verschmelzen hier) damit, den digitalen Bildkomplex direkt zugänglich zu machen. Mit interaktiv nutzbaren, multimedialen Skulpturen und Environments wandelte sich nun auch die Rezeption hin zur direkten selbstbestimmten Programmbenutzung (vgl. Struwe 1994). Diese neue computerbasierte Kunst läßt sich nur noch erschließen, indem sie aktiv erforscht wird. Ein Beispiel für ein interaktives Medienkunstwerk ist Arthur Schmidts: „The untouchable Painting“ (vgl. Schmidt). Es handelt sich dabei um eine Video- und Soundprojektion von digital gemalten Bildteilen und digitalen Klängen, die sich durch Bewegungen vor der Projektionsfläche verändern lassen. Der dynamische Bild-Klangraum realisiert sich also erst im Zusammenspiel von künstlerischem Programm und den Aktivitäten des Benutzers. Inzwischen wird interaktive Kunst von Medienkünstlern wie andere Software auch auf handelsüblichen Datenträger, z.B. CD-Roms angeboten, womit das Museum bzw. die Galerie verlassen und die Rezeption auf den heimischen PC verlegt wird. Diese ins „kleinere Format“ transferierte Medienkunst läßt sich - wenn auch noch mit technischen Einschränkungen - im Netz installieren. Dadurch ergibt sich zunächst künstlerisch nichts prinzipiell Neues. Die wesentliche, über die bisherige Medienkunst hinausweisende formale Tendenz im Web besteht darin, die Kunst nicht nur interaktiv erfahrbar zu machen, sondern in Teilen auch von mehreren Benutzern gemeinsam produzieren zu lassen. Damit vollzieht sich der Wandel von interaktiv rezipierbaren Medienkunstprogrammen zum produktiven und gemeinschaftlichen Benutzen von Webkunstprogrammen. Strukturell werden damit von der Webkunst Kunstformen wieder aufgegriffen, die bei Kunstaktionen und Mitmachhappenings der achtziger Jahre entwickelt wurden (vgl. Kunstaktionen, Eulenspiegeleien und Künstler und Kulturarbeit). (top) Die bislang häufigste Webkunstvariante ist eine neue literarische Form. Es werden formale und/oder thematische Vorgaben gemacht, in die hinein von vielen Schreibern Texte zu einem wachsenden Hypertextgebilde zusammengefügt werden („gvoon.de“). Oder es werden Geschichten zu vorgegebenen Illustrationen gesammelt und abrufbar als Variationen bereitgehalten wie bei Andre Hornischers „Auf der Suche nach dem Tiefseefisch“. Es gibt Projekte, die zur Einsendung von kleinen Computergrafiken aufrufen. Zusammengestellt zu einer temporären Collage ergeben sich so gemeinsam gestaltete Bildfelder. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Programme ins Web zu stellen, mit denen der Benutzer Bilder automatisch berechnen lassen kann. Der Computerkunstpionier Charles Czurri bietet auf seiner Site ein interaktives 3D-Programm, mit dem sich aus vorgegebenen Figuren und Kompositionsparametern Bilder generieren lassen. Der „Mondrimat“ von Stephen Linhart animiert den Besucher dazu, mit einigen Mausklicks neue Mondrianbilder zu erzeugen. Diese webspezifischen Kunstprojekte stellen im Vergleich zu den vielen Abbildungen traditioneller Kunst und auch gegenüber der üblichen Multimediakunst im Web noch die Ausnahme dar. Außerdem ist aktive Mitproduktion unter dem bisher üblichen Gesichtspunkt der Objektqualität von Kunst nicht mehr zu beurteilen. Denn es geht hierbei nicht mehr um den individuellen geschriebenen Text, nicht mehr um von einem einzelnen komponierte Musikstücke oder einzigartige Bildoriginale, sondern um das Zusammenwirken aller Beteiligten. Das eigentliche ästhetische Produkt ist das vom Künstler installierte Programm. Doch entstehen kann das Kunstwerk erst durch die produktive Aktivität der Mitmachenden. Die dabei gewonnene ästhetische Erfahrung in der direkten Auseinandersetzung mit anderen und mit den Kunstprogrammen ist also Bestanteil des Kunstwerks. Denkt man sich die Entwicklung etwas weiter, liegt die Erwartung nahe, daß auch für diese Medienkunst das Web ein ähnlichen Kulminationspunkt darstellt wie für die allgemeine Medienentwicklung. Die Webkunst würde damit eine neue weltumspannende kommunikative Kunstform und ein integraler Bestandteil der Webkultur.
Literatur: |
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